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Ist Heilung von sexuellem Missbrauch möglich?

Sexueller Missbrauch ist weit verbreitet und die Folgen sind gravierend. Betroffene sind meistens lange Zeit mit diesem Thema und seinen Auswirkungen konfrontiert. Als Überlebende von sexuellem Missbrauch berichte ich von meinem eigenen Verarbeitungsprozess und meiner persönlichen Heilung. Andere mutige Menschen schreiben im Rahmen der Blogparade von Generose Sehr über ihre Erfahrung mit verschiedenen Tabuthemen „TABU-Talk: Über dieses Tabu möchte ich endlich reden“ .

Als ich zwölf Jahre alt war, wurde ich von einem männlichen Familienmitglied sexuell missbraucht. Diese Erfahrung hinterliess tiefe Spuren in mir. Ich fühlte mich beschmutzt, gedemütigt, verletzt, ausgeliefert und verraten.

Aus Scham und Angst erzählte ich meinen Eltern nichts darüber.

Es war niemand da, an den ich mich in meiner Not hätte wenden können, niemand, der mir half.

Die Folgen des sexuellen Missbrauchs

Basierend auf diesen ersten, sehr tief prägenden Erfahrungen war mein inneres Bild von Männern negativ. Wenn ich an sie dachte, sah ich sie als eine Art Tiere an, die Frauen nur sexuell benutzen wollen.

Meine ersten (freiwilligen) Erfahrungen mit Männern waren dementsprechend. Ich bewies mir genau dieses innere Bild. Etwas anderes war für mich zu dem Zeitpunkt auch gar nicht möglich.

Ich wollte nur fliehen

Als ich 18 Jahren alt war, wollte ich nur weg und ein neues Leben anfangen. Aber ich hatte keine Ahnung, was aus mir werden sollte.

Mein Leben war seit dem Missbrauch von viel Schmerz geprägt. Meine Familie, die durch den 5-jährigen Trennungskrieg meiner Eltern endgültig in Scherben lag, gab mir keinerlei Halt.

Ich verbündete mich mit Gleichgesinnten und ging mit Freundinnen nach Kreta und danach nach Berlin. Da ich mich schon als Kind für Tanz, Gesang und Schauspiel interessierte, begann ich in Berlin eine Tanz- und Musicalausbildung.

So ging es weiter

Mit 20 Jahren fing ich an, inspiriert durch meine Tanzlehrer, Buddhismus zu praktizieren. Die buddhistische Praxis und das Gedankengut gaben mir Unterstützung und Halt. Ich beschäftigte mich intensiv mit dem Thema Karma, dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Ich versuchte, das Leben und mich selber zu verstehen und alles zum Besseren zu ändern.

Die Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs waren immer noch zu spüren. Zu manchen Zeiten hatte ich Flashbacks, fühlte mich weiterhin beschmutzt, gedemütigt, verletzt und ausgeliefert. Ich konnte Sexualität mit Männern nicht geniessen und trat genauso aus meinem Körper aus, wie ich es während der Missbrauchserfahrungen gemacht hatte.

Etwas musste sich ändern

Mein Körper, Geist, meine Psyche und alles in mir verlangten nach Heilung. Ich lass viel über das Thema, Berichte von anderen Betroffenen und psychologische Ratgeber.

Ende der achtziger Jahre gab es das Internet noch nicht. Da ich zu dieser Zeit mit niemanden über meine Erfahrung sprach, kam ich nicht auf die Idee, mir professionelle Hilfe zu holen bzw. eine Therapie zu machen.

Licht am Ende des Tunnels

Eines Tages sah ich während meiner buddhistischen Praxis, meinen Heilungsprozess im Schnelldurchlauf. Ich sah die Mauer um mich herum, die ich aus Angst vor weiteren Verletzungen, aufgebaut hatte. Und im Zeitraffer nah ich wahr, wie ich diese Mauer gehen lassen konnte. Die Wunde, die es in meinem Inneren gab, heilte und es blieb eine Narbe zurück.

Mir wurde klar, wie der Groll gegen den Täter mein Leben von innen vergiftete. Ich nahm diese negative Belastung wie eine dunkle Wolke war, die sich über mich gelegt hatte. Der Groll zeigte sich auch darin, wie ich generell Männer sah.

Durch diese Vision auf eine geheilte, erlöste Zukunft wusste ich, ich kann es schaffen! Ich kann heilen und das Alte überwinden.

Wie sich schliesslich mein Männerbild veränderte

Die meisten meiner Lehrer in der Tanz-, Gesangs- und Schauspielausbildung waren Männer. Als Künstler und Tänzer waren sie anders, als andere Männer. Weicher, offener, intuitiver. Und da die meisten von ihnen homosexuell waren, waren sie auch keine Gefahr für mich.

Irgendwann fing ich an, mein Bild über Männer zu verändern. Es passierte schleichend und allmählich. Ich sah meine Lehrer fast täglich und konnte sie plötzlich als Menschen sehen.

Instinktiv spürte ich, dass dieser Schritt auf meinen Weg der Heilung wichtig war. Dennoch sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis ich die Erfahrung des sexuellen Missbrauchs überwunden hatte.

Meine Ehe half mir

Als ich 23 Jahre alt war, lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen. Er war ein sanfter Mann, der mir keine Angst machte. Der erste Mann, mit dem ich eine längerfristige Beziehung eingehen konnte und wollte. Während unserer Ehe verarbeitete ich viel von meiner Vergangenheit. Es war ein schmerzhafter Prozess und es brauchte viel Mut.

Auch durch diese Ehe mit Roy hatte sich mein Bild von Männern sehr geändert. Ich begann nach und nach, sie als menschliche Wesen zu sehen und als Menschen, mit denen ich in Liebe zusammen sein kann.

Die nächsten wichtige Etappen auf dem Weg meiner Heilung

Als Mensch mit Missbrauchserfahrung fühlte ich mich lange als Opfer. Nachdem ich mitten im Prozess der Neuverarbeitung war, konfrontierte ich den Täter. Ich hatte mich dazu entschieden, weil ich eine aktive Rolle einnehmen wollte.

Als ich 35 Jahre alt war, begann ich mit meiner therapeutischen Ausbildung. In den ersten acht Jahren der Aus- und Weiterbildungen verarbeitete ich die Reste meiner Missbrauchserfahrung.

Was habe ich durch die Erfahrung gelernt und erkannt?
  • Ich habe erlebt, wie negative Erfahrungen die inneren Bilder prägen, beschränken und nur bestimmte Erfahrungen möglich machen.
  • Wir beziehen uns immer wieder auf diese Bilder, bis wir sie korrigiert und geändert haben.
  • Um die Bilder und inneren Referenzen zu ändern, braucht es einen aktiven Prozess. Bei grossen Themen passiert das nicht von alleine.
  • Durch meinen eigenen Weg ist in mir die Gewissheit gewachsen, dass wir Menschen in der Lage sind, sehr vieles zu verändern, zu lösen, zu heilen und zu transformieren. Wir müssen es nur tun.
  • Der Weg der Veränderung und Heilung ist individuell.
Mein Wissen und meine Erfahrung für Andere nutzen

Schon während meiner Zeit als aktive Buddhistin fing ich an über meine Erfahrungen zu sprechen. Ich initiierte eine Gruppe für Frauen mit Missbrauchserfahrung, in der wir uns gegenseitig unterstützten und stärkten. Mein Motto war, ich finde heraus, wie ich aus Scheisse Gold mache.

Als ich im Jahre 2006 anfing in eigener Praxis mit mit Klienten*innen zu arbeiten, kamen viele Menschen, die ihre Vergangenheit bereinigen und aufräumen wollten. Darunter waren viele Betroffene mit unterschiedlichen Erfahrungen von Missbrauch: sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, emotional Missbrauch. Einige Klient*innen erlebten in ihren Familien, dass ihre Loyalität als Kinder ausgenutzt wurde und sie in falsche Rollen hineingedrängt wurden. Auch eine Form von Missbrauch.

Die gute Nachricht ist

Die meisten meiner Klienten konnten ihre alten Missbrauchsfahrungen hinter sich lassen und so wie ich ein neues Leben beginnen. Was all diesen Menschen gemeinsam war, war die Bereitschaft sich einzulassen, der Mut durch einen Prozess zu gehen, sich sich selber zu öffnen und der Wunsch nach Heilung.

Falls du selber mit Missbrauch Erfahrung gemacht hast, oder Menschen kennst, die darunter gelitten haben oder immer noch drinstecken, melde dich gerne bei mir.

In einem unverbindlichen Gespräch können wir uns kennen lernen und darüber sprechen, was wir gemeinsam tun können.

Herzliche Grüsse,

deine Cordula

PS: Ich freue mich über deinen Kommentar. In der Rubrik, Name, kannst du auch „anonym“  eintragen, falls du deinen Namen nicht nennen möchtest.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Ich erlebe gerade selber, in der Aufarbeitung dieses Themas, dass der Hass auf das männliche Geschlecht mich selbst nur zusätzlich beschwert.
    Ich könnte es jeden Tag in vielen Situationen wieder bestätigt sehen, dass Männer das Problem dieser Erde sind. Nur führt eine solche Erkenntnis weder zu einer besseren Welt noch zu Frieden in mir.
    Dank der Arbeit mit dir konnte ich tatsächlich viel Dreck in Gold verwandeln.
    Danke, dass du das Schweigen brichst, Cordula. Danke für dein Vorausgehen und das Erarbeiten der hilfreichen Techniken, dein Begleiten, Verstehen, Zeigen und Auflösen.
    Julia

    1. Liebe Julia,
      ich wünsche dir, dass du dran bleiben kannst und den alten Hass gegenüber dem männlichen Geschlecht überwindest. Es lohnt sich!
      Wie du bereits antizipierst, wird der Frieden in dir und der Welt dadurch stärker werden. Jede Einzelne, die diese Verletzungen und den Hass in sich überwindet, trägt zu einer besseren Welt bei.
      Wenn du Fragen hast, melde dich gerne bei mir.
      LG Cordula

  2. Danke liebe Cordula für deinen Mut, mit diesem heiklen Thema an die Öffentlichkeit zu treten. Nachdem ich deine Art zu arbeiten gut kenne und deine Empathie wie Hingabe an dein Klientel sehr schätze, wünsche ich allen, die sich betroffen oder angesprochen fühlen, die Kraft und auch den Mut, sich an dich zu wenden, damit ihr gemeinsam heilsam daran arbeiten könnt. Danke für’s teilen 🙏🏼.

    1. Liebe Hildegard,
      danke für deine lieben und anerkennenden Worte. Ich weiss, dass die Überwindung des Missbrauchs Teil meiner Lebensaufgabe war. Wir haben ja schon öfters darüber gesprochen.
      Ich wünsche mir sehr, dass wir Menschen die Gräben zwischen uns überwinden. Es gibt zu viel Gewalt, Missbrauch und Krieg auf der Welt.
      Bis ganz bald und liebe Grüsse Cordula

  3. Liebe Cordula

    Wie sehr Du doch mit deinem Beispiel und deiner menschlichen Art anderen Mut und Hoffnung schenkst. Danke für deinen außergewöhnlichen Mut mit diesem sehr persönlichen Beitrag. Du hast eine Gabe und mit Dir zu arbeiten, ist für jeden ein Geschenk.

  4. […] In meiner ganzheitlichen therapeutischen Ausbildung, die sich unter anderem mit Traumatherapie, der Auflösung von Geburtstraumen und der inneren Kind-Arbeit beschäftigt hat, lernte ich mein eigenes inneres Kind kennen. Bei den ersten Kontakten merkte ich, wie verletzt es war, schliesslich hatte ich in meiner Jugend schwere Traumatisierungen erlebt (siehe mein Erfahrungsbericht Ist Heilung von sexuellem Missbrauch möglich?). […]

  5. Liebe Cordula, danke für diesen Bericht und die Hoffnung, die du damit anderen Betroffenen schenkst. Auch ich sehe in meiner Arbeit, dass es möglich ist, wirklich tragische und schreckliche Erfahrungen zu heilen und dadurch dann neue schöne Erfahrungen zu machen.
    Danke, dass du diesen Artikel zu meiner Blogparade beigesteuert hast. Ein unglaublich wichtiges Thema, das noch viel mehr Aufmerksamkeit braucht. Nämlich genau in dieser Weise: wie geht Heilung nach so einer Erfahrung.

    Alles Liebe, Generose

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